Über mich

Ich wurde in Uppsala geboren, an einem schneereichen Tag im November. Es war so kalt, dass mein Vater unseren VW Käfer vor dem Krankenhaus hin- und hergefahren ist, um ihn warm zu halten für die Fahrt nach Hause mit mir und meiner Mutter. Das hat funktioniert, vielleicht mag ich deshalb den November so sehr.

Meine Eltern waren beide Lehrer und interessiert an Literatur. In unserer Wohnung gab es reichlich volle Bücherregale. Beide hatten Englisch studiert, und es gab deshalb auch zahlreiche anglo-sachsische Verfasser in den Regalen. Gute-Nacht-Geschichten und lautes Vorlesen, Christie und Shakespeare waren Selbstverständlichkeiten für mich. Ich erinnere mich an Mio min Mio (Mio, mein Mio) als mein erstes grosses Leseerlebnis. Aber ich las alles, was mir in die Hände kam: die alten Jugendbücher meiner Eltern, Klassiker, Omas Boulevard-Zeitschriften und Opas ”Bildzeitung”. Es wurde kein Unterschied gemacht zwischen guter und weniger guter Literatur. Es ging ums Lesen und alles Lesen war gut.

poem
Gedicht, geschrieben von mir als ich 9 Jahre alt war.

Ich hatte das Glück, dass alle meine vier Grosseltern in Uppsala lebten während ich aufwuchs. Sie waren dorthin gezogen nach ihrer Pensionierung, aus Osby (Südschweden) und Sollefteå (Nordschweden), und ich traf sie jede Woche. Sie hatten ein ehrliches Interesse an meinem Leben und berichteten aus ihren eigenen, was ich sehr spannend fand. Meine Grosseltern väterlicherseits waren Baptisten, mütterlicherseits eher Atteisten. Der Unterschied zwischen meiner frommen Grossmutter einerseits und der eher fröhlichen Grossmutter andererseits war äusserlich natürlich gross. Aber sie waren beide erfolgreich im Beruf, die eine als Lehrerin für Deutsch und Französich, die andere als Unternehmerin mit eigenem Frisörsalon. Und sie mochten einander. Mein Grossvater väterlicherseits war Schulrektor, Verfasser und Kommunalpolitiker. Er führte einen ständigen Kampf für Humanität und Menschenwürde, nicht zuletzt während des 2. Weltkrieges. Er war immer ein grosses Vorbild für mich. Ebenso mein anderer Grossvater, das Adoptivkind, das seine berufliche Laufbahn als Bremser bei Norrlandstågen begann und als Büroangestellter bei der Schwedischen Bahn beendete. Ich bin dankbar, dass ich die Geschichte meiner Grosseltern in mir habe.

My grandparents
Meine Grosseltern.

In der Schule hatte ich keine Probleme mit Schwedisch und anderen Sprachen aber ich mochte auch die Naturwissenschaften. Dies führte zum Studium von zuerst Englisch und dann Mathematik. Im Glauben, diese beiden verbinden zu können, ging ich an die Journalistenschule in Göteborg und arbeitete danach bei der Zeitung VLT in Västerås. Danach erfüllte ich mir meinen Traum eines Auslandsstudium. Es wurde nicht New York oder San Francisco sondern die Univerity of Kansas in Lawrence, mitten im Herzen des ”Bibelgürtels” und sicher nicht so spektakulär wie die Ost- oder Westküste, aber gerade deshalb sehr spannend. Von dort fuhr ich nach Hause mit einem Master in Staatswissenschaft und dem deutschen Studenten, den ich einige Jahre später heiraten würde.

Graduation University of Kansas
Abschluss an der University of Kansas.

Wir zogen nach Frankfurt/Main und ich arbeitete zwölf Jahre für die ”Schwedische Wirtschaftswoche” Veckans Affärer. Wir waren gerade in Frankfurt angekommen, als die Historie ihren Anfang nahm und in der Wiedervereinigung endete. Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in der DDR, der Taxifahrer, der sein Schild abmontierte vor der Grenze, die Soldaten, die mich kontrollierten, meine Interviews, die überwacht wurden und dass es unmöglich war, zu telefonieren. Einige Monate später wurde ein eniges Deutschland gefeiert. Das Unmögliche war passiert.

Zwölf Jahre später zogen wir nach Schweden, jetzt mit zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Ich schrieb weiterhin Artikel und nahm ein altes Interesse wieder auf; Musik und Tanz. Ich begann eine Musikalausbildung, in der ich doppelt so alt war wie die anderen. Eines Tages hatte ich morgens einen Artikel über Gentechnologie geschrieben und später am Tag meine Rolle als Conferencier in Cabaret einstudiert. Am Abend sah ich dann einen Woody Allen Film, eine Parodie über Ingmar Bergmans ”Det sjunde inseglet” (Das siebte Siegel). Die Eindrücke des Tages vermischten sich und dieses ”etwas” passierte, was passiert, wenn eine Geschichte geboren wird und da war sie, die Ideee, die zu Caipirinha mit dem Tod führte. Und dazu, dass ich zwei Jahre später Vollzeitautor war. Das Ergebnis ist eine recht grosse Anzahl Bücher, die in mittlerweile elf Ländern erschienen sind sowie eine erfreuliche Reihe von Preisen und Nominierungen.

Ich wohne in Stockholm aber verbringe viel Zeit in Frillesås an der schwedischen Westküste. Meine Grosseltern kauften hier ein Sommerhaus in den 50-Jahren und ich war hier seit Kindesbeinen ständig zu Besuch. Die Zeit, die ich hier verbracht habe, hat mich in vielerlei Hinsicht geprägt und mein literarisches Universum beeinflusst: meine Sommerfreunde, die immernoch dort sind, die Nähe zum Meer, der zaunlose Übergang zwischen den Grundstücken, Gemeinschaft über die Generationen hinweg. Draussen in den Schären, ganz oben auf den Klippen, fühle ich mich so frei, wie ich mich nur fühlen kann. Die Röte der Jungfrau war das erste Buch, das in Frillesås spielte; es sollten mehrere werden.

Frillesås
Frillesås.

Nach längerer Krankheit starb mein Vater vor einigen Jahren. Er wurde 77 Jahre alt. Es war hart, meinen freundlichen, gesunden und jugendlichen Vater so krank und schwach zu sehen. Er war ein moderner Mann für seine Zeit, und er war stolz auf mich und meine Schwester. Ich vermisse ihn zutiefst, aber es stimmt, so wie der schwedische Autor und Dichter Harry Martinson schreibt: Die Sorge ist die grösste Ehre, die die Freude bekommen kann. Und ich habe viel gelacht mit meinem Vater. Der geheime Brief habe ich nach seinem Tod geschrieben und ihm gewidmet.

Meine Jahre als Autor haben mich an Plätze geführt, zu denen ich sonst nicht gekommen wäre. Ich habe in Buchhandlungen Lesungen gehalten, in Büchereien, in Schulklassen und sogar im Gefängnis. Ich war einen Monat lang in einem Kloster in Frankreich, was zu Innanför murarna (Within the Walls, nicht ins Deutsche übersetzt) geführt hat und zu dem französischen Dokumentarfilm Résidence(s).

Résidence(s).

Alles, was ich gesehen, gehört, gelernt oder gedacht habe, findet Eingang in meine Bücher. Mich gibt es dort, auch wenn es ”mich” dort nicht gibt. Kein Mensch ist frei von seiner Geschichte, seiner Verwandtschaft und seinen Freunden. Niemand kann sagen, woher die Geschichte kommt, wo sie beginnt oder wo sie endet. Sie lebt in veränderter Form weiter; letztlich bei den Lesern und Zuhörern.

Nach all den Jahren weiss ich, dass Inspiration nicht das Wichtigste ist; sondern die Disziplin. Sich hinzusetzen auch wenn es schwer fällt. Den richtigen Personen zuzuhören. Dass ich an meine Idee glaube, meinen Roman, meine Novelle. Entscheidend ist, nicht das Urprungsgefühl zu vergessen. Das Gefühl, das mich zu meinem ersten Buch geführt hat, zu dem allerersten Satz, zu meinem Wunsch, eine Geschichte zu erzählen.